1. Positive Emotionen

Aus Resilienz-Literatur

Positive Emotionen (1)

Resilienzforschung geht von einem dynamischen Affektmodell aus. Das bedeutet, positive und negative Eindrücke können zusammen bzw. nebeneinander betrachtet werden. Positive Emotionen ergeben sich aus Erfolg, sozialen Beziehungen, körperlichen Aktivitäten und Gesundheit (körperlich und geistig). Wesentlich ist, dass positive Emotionen die negativen überlagern. Positive Emotionen wirken als förderlicher Faktor.

Das Erleben positiver Emotionen hat sich in empirischen Studien konsistent als protektiv gezeigt. Es scheint jedoch weniger die Intensität der positiven Emotionen an sich als das regelmäßige Auftreten und die Relation zur Häufigkeit von negativen Emotionen zu sein, die schützend wirken. In der Resilienzforschung wird daher davon ausgegangen, dass die schützende Wirkung angesichts kritischer Lebensereignisse und chronischer Stressoren in der Fähigkeit zum simultanen Erleben von positiven und negativen Gefühlen besteht (Bengel / Lyssenko, 2012, 47f).

Resilienz lässt sich stärken, wenn die positiven Folgen dem eigenen Handeln und negative Erlebnisse den äußeren Umständen zugeschrieben werden. Auch geht es darum, positives Verhalten zu trainieren und „sich auch über Alltägliches zu freuen – gerade weil in schwierigen Lebensphasen die negativen Stimuli meist überwiegen“ (Bengel / Lyssenko, 2012, 49).

Herbstmilch – Lebenserinnerungen einer Bäuerin

Herbstmilch ist der autobiographische Lebensbericht der Bäuerin Anna Wimschneider (1919–1993) aus dem Jahr 1985.

Anna Wimschneider erzählt darin von ihrem schweren Leben als Bäuerin. Mit dem Tod ihrer Mutter endet die Kindheit der achtjährigen Anna Traunspurger. Sie muss den Haushalt für die neunköpfige Bauernfamilie führen. So erwarten sie harte körperliche Arbeit, Entbehrungen und Mühsal im damals noch äußerst harten Landleben.

Später heiratet sie Albert Wimschneider und zieht auf den Hof von Alberts Familie, um dort ein Leben als Bäuerin zu führen. Doch Annas verbitterte und auch bösartige Schwiegermutter macht ihr das Leben mehr als schwer. Jahre der Demütigungen und Schikanen folgen. Gegen Kriegsende bekommt der heimkehrende Albert das alles mit und stellt sich auf die Seite seiner Frau gegen die eigene Mutter. Das Leben danach ist angenehmer, wenn auch nicht weniger schwierig.

Das Buch wurde zu einem der größten Erfolge in der Geschichte des deutschen Buchhandels. Die Autobiographie war über drei Jahre in den Bestsellerlisten.

Herbstmilch ist sauer gewordene Milch, die sich nicht mehr zum Verkauf eignet und daher von den Bauern selbst verzehrt wurde und ein wichtiges Lebensmittel darstellte.

Resilienz-Strategie

Die Kindheit von Anna Wimschneider war geprägt durch die Hoffnung auf Veränderung und durch positive Emotionen. Die ersten Jahre verliefen glücklich: „Die Eltern freuten sich an ihren Kindern“ (6); oder: „Wir Kinder hatten ein fröhliches Leben“ (5). Doch durch den frühen Tod der Mutter musste Anna die Hausarbeit alleine erledigen. Ihre Geschwister entschieden das so: „Es dauerte nicht lange, da sagten die Buben, im Haus ist alles deine Arbeit, das ist Dirndlarbeit. Nach der Schule kam die Meieredermutter, um mir das Kochen beizubringen. In meinem Beisein sagte der Vater zu ihr, wenn sich’s das Dirndl nicht merkt, haust du ihr eine runter, da merkt sie es sich am schnellsten. [...] Bei der Arbeit mußte ich einen Schemel mittragen, weil ich so klein war, daß ich in keinen Topf gucken konnte. Auf den Herd schauen, Schemel hin, einheizen, Schemel weg, zur Anrichte, Schemel hin, wie oft ging das während des Kochens!“ (11). Und an anderer Stelle: „Da wir neun Personen waren, gab es viel Wäsche. Meine Hände waren ganz rot und blau gefroren. Und viel habe ich geweint“ (18). Immer wieder holt sie die Erinnerung an ihre Mutter und daran, dass diese sie durch ihren Tod alleine gelassen habe, ein: „Ich weinte so bitterlich, daß meine Schürze ganz naß wurde. Mir fiel dann immer ein, daß wir keine Mutter mehr haben. Warum ist gerade unsere Mutter gestorben, wo wir doch so viele Kinder sind? Dann habe ich mein Gesicht gewaschen, damit keiner merkt, daß ich geweint habe“ (19).

Der alleinerziehende Vater wird als tüchtig, arbeitsam, zeitweilig cholerisch, aber auch als fürsorglich beschrieben. So hatte Anna einmal Ärger mit dem Pfarrer, der sie schlug. Ihr Vater ging dagegen vor und der Pfarrer musste Strafe bezahlen: „Ich war ihm dankbar, weil er mir geholfen hat. Er war immer ein guter Vater. Der Pfarrer war ein hartherziger Mann, der auch die anderen Kinder oft mit schweren Holzscheiten schlug, die zum Heizen des Ofens in der Schule lagen“ (44). Es gab aber auch überraschende Wendungen in dem tristen Alltag: „Ich war schon achtzehn, da kam eines Tages die Meieredermutter zum Vater und sagte, bei uns wird auf dem Hof geheiratet, du mußt das Dirndl zur Hochzeit gehen lassen. Der Vater sagte, die lasse ich nicht hingehen, da müßte ich ihr auch ein Kleid kaufen. Die Meieredermutter sagte, dann kauf ich eins, das Dirndl muß viel arbeiten, es soll auch einmal eine Freude haben. Der Vater hat dann doch ein neues Kleid gekauft, und ich durfte zum erstenmal zu einer Hochzeit gehen“ (51).

Bei der Hochzeit lernt Anna ihren zukünftigen Mann Albert kennen und lieben: „Uns war schade um jede Stunde, wir hatten uns soviel zu sagen, daß wir kein Auge zutaten. Auch Albert hatte eine armselige Kinderzeit hinter sich. Darum liebten wir uns um so mehr“ (55). 1939 heirateten sie. Sie zogen zusammen in die Heimat von Albert, der dann zum Kriegsdient eingezogen wurde.

Das Leben für Anna war weiter geprägt durch eine Mischung aus Glück und Mühsal: „Um zwei Uhr morgens mußte ich aufstehen, um zusammen mit der Magd mit der Sense Gras zum Heuen zu mähen. Um sechs Uhr war die Stallarbeit dran, dann das Futtereinbringen für das Vieh, im Haus alles herrichten und wieder hinaus auf die Wiese. Ich mußte nur laufen. Die Schwiegermutter stand unter der Tür und sagte, lauf, Dirndl, warum bist du Bäuerin geworden? Sie aber tat nichts“ (81).

Als Albert das erste Mal wieder nach Hause kommt wird dabei die Ambivalenz von Anna’s Dasein deutlich: „Es war trotz aller Freude auch eine traurige Nacht, ich weinte und jammerte ihm alles vor. Ich hatte ja nur ihn. Er hat mich getröstet und fest versprochen, daß er bald heimkommen wird“ (82). Verleumdung durch die Schwiegermutter gehen Hand in Hand mit für sie schönen Momenten, beispielsweise als Albert ihr ein Kleid kauft (85f).

1941 wird die erste von drei Töchtern geboren. Anna hat immer noch einen schweren Stand auf dem Hof. Doch auch das änderte sich. Als Albert aus dem Krieg verwundet zurückkommt und langsam genesen kann, erfährt er, wie ungerecht Anna von seiner Mutter behandelt wird. Er hält zu Anna und fährt seine Mutter an, nachdem er ihre Gemeinheiten gegen Anna mitbekommen hatte: „Auf der Stelle packst du deine Sachen, und ich bringe dich zum Zug, du gehst zurück in deine Stadtwohnung, du sollst uns zwei nicht auseinanderbringen! Sie schrie, mein eigener Bub wirft mich aus dem Haus! Von nun an war Friede im Haus“ (108f).

1949 wurde die zweite Tochter geboren. Ein drittes Kind folgt. Das Leben geht nun seinen gewohnten Gang und bleibt durchzogen von zwei Extremen: „Bei uns im Dorf gab es viel Lustiges, manchmal auch Trauriges, und ich weiß heute noch Geschichten, die sich die Leute einander erzählten“ (121).

Als Fazit eines langen, erfüllten und bescheidenen Daseins, das durchzogen war von Freud und Leid kann folgender Satz gelten: „Wir haben es beide schwer gehabt, denn wir waren nichts und haben erst allmählich Anerkennung gefunden, weil wir unser Anwesen emporgebracht haben“ (146). Die Zeiten änderten sich. Ein gewisser Wohlstand stellte sich ein und doch bleiben die Arbeit und die Schicksalsschläge.

„Albert und ich sind beide glücklich und zufrieden wie nie in unserem Leben. Wir schauen zurück auf die vergangene Zeit, und oft habe ich in den letzten Jahren den Wunsch gehabt, meine Geschichte aufzuschreiben. Das habe ich nun getan“ (152). Dann aber ist der entscheidende Satz zu lesen, der bezeichnend ist für ihr Leben: „Wenn ich noch einmal zur Welt käme, eine Bäuerin würde ich nicht mehr werden“ (152).

Viel stärker und offen formuliert das der unterdrückte, am Rand der Gesellschaft lebende Woyzeck in Georg Büchners gleichnamigem Drama. Er, der Not und Elend zur Genüge kennt und alles tut, um davon wegzukommen, muss resignierend feststellen: „Unsereins ist doch einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub, wenn wir in Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen.“

Das Leben als Bäuerin ist Herbstmilch. Dennoch hat sich Anna Wimschneider nicht unterkriegen lassen. Sie lebte ein Leben der Kompromisse und am Ende wird es ein Leben sein, auf das sie zurückschauen kann wie auf ein bestandenes Abenteuer.

Um ein solches Leben zu bestehen, braucht es „positive Emotionen“, auf die man zurückgreifen kann, wenn das innerlich und äußerlich Erlebte unerträglich wird. Damit einher geht es, die Ambivalenz des Lebens anzuerkennen. Das „regelmäßige Auftreten“ von positiven Emotionen und die Abgrenzung dadurch gegenüber negativen Emotionen schützen auch „angesichts kritischer Lebensereignisse und chronischer Stressoren“. Die Möglichkeit, sich auf die eigenen positiven Emotionen verlassen zu können, weil man weiß, dass sie „da“ sind, ist entscheidend.

Optimismus (2) genügt in diesem Kontext als Strategie ebenso wenig wie Hoffnung (3) oder Selbstwertgefühl (5). Diese flankieren eine solche Lebensstrategie, tragen sie jedoch nicht. Viel eher können Hardiness (8) und Coping (10) mit hinzukommen. Eine solche Verbindung vermag Aussichtslosigkeit zumindest in stoische Pflichterfüllung zu verwandeln getreu dem Motto: „Auf Regen folgt Sonnenschein“ usw. Dass dies keine „Allheimmittel“ darstellen, ist offensichtlich. Aber es entbirgt sich so eine Resilienz-Strategie, die auch in anderen Werken auffindbar ist. Damit weist das Buch weit über das Genre „Heimatroman“ hinaus.

Weitere Resilienzfaktoren

Optimismus (2)
Hoffnung (3)
Kohärenzgefühl (7)
Hardiness (8)
Coping (10)
Soziale Unterstützung (11)

Literatur

Wimschneider, Anna: Herbstmilch. Lebenserinnerungen einer Bäuerin. München 1987. Piper Verlag.

Weitere Werke

Jones, Gayl: Corregidora. Berlin 2022. Kanon Verlag.

Plath, Sylvia: Die Glasglocke. Frankfurt 2005. Suhrkamp Verlag.

Prinz, Dora / Eichhorst, Sabine: Ein Tagwerk Leben. Erinnerungen einer Magd. München 2009. Droemer Knaur Verlag.

McCourt, Frank: Die Asche meiner Mutter. Irische Erinnerungen. München 1996. Luchterhand.