10. Coping

Aus Resilienz-Literatur

Coping (10)

Der Begriff „Coping“ (aus dem Englischen „to cope with“ = bewältigen, überwinden) bezeichnet die Bewältigung von Stress oder kritischen Lebensereignissen. Es gibt drei Ansätze für die Konzeptualisierung von Coping:

1) psychoanalytische Theorien, die auf Freuds Abwehrmechanismen basieren

2) Annahme verschiedener relativ stabiler, situationsübergreifender Copingstile

3) prozessorientierte Ansätze, in denen der Einfluss von individueller Umwelt und Aspekten des Stressors ins Zentrum gerückt werden […]

Die Anzahl an Copingstilen differiert und es gibt deren bis zu 20 verschiedene:

Es besteht jedoch weitestgehend Übereinstimmung darin, die verschiedenen Stile entweder in die Kategorien problemorientiertes, emotionsbezogenes und vermeidendes Coping oder in die Kategorien Annäherungs- bzw. Vermeidungsstrategien einzuteilen (Bengel / Lyssenko, 2012, 78).

Bei den Copingstrategien ist der subjektive Faktor ausschlaggebend, da Ereignisse bewertet oder deren Bedeutung eingeschätzt werden müssen. Auch sollen Probleme als solche erkannt und in ihrer emotionalen Wirkung akzeptiert werden. Die Kenntnis der Palette an Copingstrategien und deren Operationalisierung ist dabei unerlässlich. Bengel / Lyssenko betonen:

Als problemorientierte Copingstrategien werden aktive Problemlösungsansätze sowie die Suche nach praktischer Unterstützung und Hilfe bezeichnet. Beim emotionsbezogenen Coping steht die Bewältigung der durch kritische Lebensereignisse ausgelösten negativen Emotionen im Vordergrund [Bengel / Lyssenko 2012, 78].

Coping lässt sich weiter ausdehnen auf beispielsweise: Planung, Unterdrückung von konkurrierenden Aktivitäten, positive Neubewertung und Wachstum, Zurückhaltung, soziale Unterstützung, Religion, Humor, Emotionalisierung, Verweigerung, Rückzug, Akzeptanz usw.Diese Punkte dienen der Entwicklung einer Strategie zur Vermeidung und Beeinflussung bestimmter Lebens- und Krisensituationen mit dem Ziel, diese zu bewältigen:

Als vermeidende Strategien werden neben dem Leugnen eines Problems auch die Suche nach Ablenkung in alltäglichen Aktivitäten wie zum Beispiel Fernsehen oder im Extremfall in Drogen oder Alkohol bezeichnet. Die Kategorisierung in Annäherungs- bzw. Vermeidungsstrategien bezieht sich darauf, ob eine Strategie einen aktiven Umgang mit der problematischen Situation beinhaltet oder ob der Stressor passiv ausgehalten bzw. Gedanken oder Erinnerungen daran vermieden werden. Als aktive bzw. Annäherungsstrategien werden zunächst die problemorientierten Copingstrategien verstanden, aber auch einige emotionsbezogene Strategien, wie zum Beispiel die positive Umdeutung von Situationen gehört dazu (Bengel / Lyssenko, 2012, 81f).

Coping ist ein Sammelbegriff, der sich an der Möglichkeit orientiert, einen Vorteil zu erzielen oder Lebensumstände zu meistern.

Weitere Resilienzfaktoren:

Optimismus (2)
Hoffnung (3)
Selbstwertgefühl (5)
Kohärenzgefühl (7)
Hardiness (8)
Soziale Unterstützung (11)

Unten und Oben: „Ein Mann will nach oben“ (1941) von Hans Fallada (1893–1947)

Karl Siebrecht, der Held des Romans: „Ein Mann will nach oben“ (1941) von Hans Fallada (1893–1947), will etwas werden und er will etwas darstellen: Er will nach oben, will die Stadt Berlin erobern und zwar als Unternehmer. Aber: Wo und was ist oben? Was gehört zu diesem „Oben“ dazu? Besitz? Reichtum? Zu Beginn des Romans strebt Siebrecht nach Erfolg, um sich vom Elend des Hinterhofes zu befreien, wo er in einer kleinen Wohnung auf dem Fußboden der Küche schlafen muss und wo Geldsorgen ebenso zu Hause sind wie Schwindsucht und Not. In Berlin lernt er Kalli Flau und Rieke Busch kennen, die er auf seinem Weg zur „Eroberung von Berlin“ mit sich nimmt. Doch die beiden unterschieden sich von ihm dadurch, dass sie, nachdem sie sich gemeinsam einen gewissen Wohlstand erarbeitet hatten, sich damit zufrieden geben. Siebrecht jedoch reicht das nicht: „Sie verdienten genug, sie konnten sogar etwas zurücklegen, also schön, was nun noch? Nichts weiter! ... Das alles war nun in Karl Siebrechts Augen gar nichts. Er wollte voran.“ Er macht sich weiter auf, um Berlin zu erobern, um etwas darzustellen, um einem inneren Drang zu folgen. Er, der vom Land kommt, vom Arbeiter zum Direktor aufsteigt, der die Gunst von wohlhabenden Freunden genießt und sich in der Sphäre des Luxus ebenso zu bewegen lernt wie im dunklen Hinterhof, er schafft es dann doch. Er ist oben. Dennoch kommt ihm etwas abhanden: „Ja, es war gut, heimzukehren. Irrtümer, Gefahren, Versuchungen, Zeiten der Schwäche: sie blieben keinem erspart. Aber dann kehrte man heim in sein Haus, in sein Eigenstes, in die Heimat, in das, was man aus sich heraus geschaffen hatte, das zu einem Stück des eigenen Ichs geworden war, mochte es nun ein Haus sein oder eine Frau oder eine ganze Stadt.“ Karl Siebrecht scheint zumindest teilweise bei sich angekommen zu sein. Zurück bleibt eine stumme Resignation und der Drang, sich dem Fluss des Lebens nicht nur anzuvertrauen, sondern ihn steuern zu wollen.

Der Roman unterscheidet sich vom gleichnamigen filmischen Mehrteiler vor allem im Schlussteil.

Resilienzstrategie

Der Roman drückt nicht nur eine geheime Sehnsucht aus, sondern hat eine zutiefst menschliche Note: sich aus dem Alltag zu befreien und aufzusteigen. Mag die Richtung unbestimmt sein, so ist „nach oben“ doch treffend genug, um Sehnsüchte und Begehrlichkeiten zu wecken. Heute, in einer Zeit, in der jeder auf seine paar Minuten Ruhm zu bestehen scheint, spiegelt der Roman noch etwas anderes: solide und harte Arbeit, Einfalls- und Ideenreichtum, Kreativität und Beharrlichkeit, sowie Geschäftsbewußtsein und eine Portion Risikobereitschaft lassen Träume entstehen. Doch am Ende, wenn Rückschau gehalten wird, scheinen doch eher die menschlichen Werte zu zählen: „ich finde, dein Traum hat dich und andere ziemlich viel gekostet. Und was ist von ihm geblieben?“ „Ja, was ist von ihm geblieben“, fragte sich auch Karl Siebrecht. Karl Siebrecht, dem das Transportgeschäft zum zweiten Vornamen wurde, der sich damit auf die Bewegung eingelassen hat, die immer schneller weiter, effizienter gestaltet und beherrscht werden muss, sieht sich mit einer Situation konfrontiert, die Leugnen nicht mehr möglich macht. Er muss sich der Realität stellen und diese heißt trotz allem: Wandel und Menschlichkeit. Gerade die Romane Falladas sind dem Zwischenmenschlichen verpflichtet und fordern Empathie. Wer über Fallada schreibt und dies nicht mit berücksichtigt und nicht in sein eigenes Leben oder seine Korrespondenz integrieren kann, sollte lieber die Hände von Fallada lassen. Überhaupt verpflichtet die Lektüre Falladas zu einer Menschlichkeit, die über alle Grenzen hinausgeht. Obschon Problemlösen fester Bestandteil des Romans im Hinblick auf seine Copingstrategie ist, die mit Hilfen der anderen und deren Unterstützung und Bewältigung des Alltags oder/und der Lebenskrisen verbunden ist, geht es doch um die Fähigkeit, die Lebensumstände zu meistern. Die Resilienz-Strategie besteht darin, sich den bestehenden Verhältnissen zuzuwenden, sie aber auch teilweise auszuklammern, um dann das Leben aktiv zu gestalten. Dies geschieht nicht nur im Hinblick auf Erfolg, Macht, Reichtum, sondern auch und gerade in Hinblick auf eine menschliche Note, die als Kontrapunkt immer mitschwingen muss.

Möglich, dass Verse aus dem 1. Brief des Paulus an die Korinther (1. Kor 13,13) hilfreich sein können:

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.

Sicher: Es handelt sich insgesamt um ein Ideal. Aber: Ein Ideal ist eine Idee. Eine Idee ist ein Einfall. Ein Einfall aber schafft etwas Neues.

Zitate

Minna die Haushälterin zu Karl:

„Du weißt nicht, Karl, wie schwer ein Leben ist, in dem man ganz auf sich allein gestellt ist!“

Karl Siebrecht rief mit heller Stimme: „Es soll ja schwer sein, Minna! Ich will gar kein leichtes Leben haben. Ich will viel werden, ich fühle dazu die Kraft in mir!“

Minna und Karl:

„Man kann überall etwas Rechtes werden, Karl!“

„Das ist so ein Spruch, wie ihn der Pastor Wedekind sagt. Ich kann mit solchen Sprüchen nichts anfangen. Ich hab’s hier in der Brust, Minna, ich muß fort von hier, wo mich jedes Gesicht, jeder Baum an den Vater erinnert, wo sie alle in meinem Rücken flüstern: Das ist der Junge vom Maurermeister Siebrecht, der Bankrott gemacht hat!“

Karl: „Ja, ich muß, Minna, weil ich etwas werden will – ein wirklicher Mann!


Minna: „Aber fliege nur fort, du hast ja recht; besser fliegen als kriechen!“


Karl zu Ria, seine erste Freundin: „Aber, Ria!“ rief er ganz bestürzt. „Sei doch nicht so! Versteh doch, daß ich fort muß! Hier kann ich nie etwas werden!“

Karl: „Erst muß ich etwas geworden sein.“


Ganz im geheimen hatte ja Karl Siebrecht wohl einen Traum in der Brust gehegt von einem sagenhaft reichen, edlen Mann, dem er irgendwie helfen konnte – manchmal rettete er ihm sogar das Leben! –, und dieser edle Einsame erkannte sofort die außerordentlichen Fähigkeiten des jungen Karl Siebrecht und ließ ihn aufrücken, bis er in ganz kurzer Zeit sein Nachfolger und Erbe wurde. Solchen Traum hatte er gehegt, manchmal. Aber Rieke Busch hatte nie geträumt, oder wenn sie geträumt hatte, war es um Waschfaß und Nähmaschine gegangen. Sie hatte eine außerordentlich feine Nase für verstiegene Erwartungen.


[...] und doch nur ein Stein unter Steinen, verlassen, wertlos. Niemand wußte von ihm, wie niemand von den Steinen wußte, über die sein Fuß eben gegangen war!


Karl zu seiner Freundin Riecke Busch:

„Aber sieh doch ein, Rieke, wenn ich mir von dem Mann helfen lasse, dann muß ich auch so leben und das werden, was er sich denkt.“

„Wieso mußte?“

„Ich will aber das werden, was ich will!“


Wenn Karl Siebrecht es sich genau überlegte, unterschied ihn etwas Wesentliches von seinen beiden Freunden, Kalli Flau und Rieke Busch. Es war nicht die Sprache, die ihn von Rieke Busch unterschied, und nicht die bessere Schulbildung, die er dem Kalli Flau voraushatte. Das waren unwesentliche Dinge. Man konnte sich sehr gut eine Rieke mit einwandfreiem Deutsch denken und einen Kalli, der etwas vom alten Homer gehört hatte. Die Freunde wären darum nur wenig anders gewesen! Nein, was ihn ganz wesentlich von den beiden unterschied, war, daß diese beiden ganz zufrieden mit ihrer jetzigen Lage waren. Sie verdienten genug, sie konnten sogar etwas zurücklegen, also schön, was nun noch? Nichts weiter! Vielleicht hatte Rieke Busch noch einen kleinen Traum vom Vorwärtskommen, aber weiter als bis zu einer von ihr geführten Schneiderstube reichte er auch nicht. Kalli Flau aber war ein vergnügter Vogel, der jeden Tag für das Seine sorgen ließ, er dachte nicht weiter als bis zum nächsten Brot. Das alles war nun in Karl Siebrechts Augen gar nichts. Er wollte voran.


Die Eroberung von Berlin – wie oft hatte er davon geträumt! Aber in all seinen Träumen hatte er wohl an Entbehrungen, Kampf, Feinde gedacht, nie aber hatte er daran gedacht, daß er mit seinen Freunden würde kämpfen müssen, ja, gegen sich selbst. So also wurde man Eroberer, indem man zuerst alles Weiche in sich selbst bekämpfte!


Herr von Senden, sein Mentor:

„Soso“, sagte der Herr von Senden endlich. „Ich erkläre mich besiegt und geschlagen, mein Sohn. Ich glaubte immer, es hülfe dem Menschen, wenn man ihm ein wenig hilft. Aber ich sehe, der Mensch kommt ohne Hilfe viel weiter. Du wenigstens hast allein viel mehr erreicht, als ich dir hätte helfen können. Es ist ja ganz egal, ob du sieben Wagen oder siebzig fahren hast. Zahlen sind nie ein Erfolg. Aber du hast erreicht, daß du auf eigenen Beinen stehst, daß du nur dir selbst vertraust, daß du durch dich allein etwas geworden bist – zu dem allen hätte ich dir nie verhelfen können, Karl!“


Herr Gollmer:

„Sehen Sie, Herr Siebrecht, wir sind hier nicht in der Provinz, wo man erst ängstlich fragt, wer ist einer, was ist einer? Was ist sein Vater? Wir fragen uns: Was leistest du? Bist du zuverlässig?“

Da war es wieder, dieses Glück, daß andere an ihn glaubten, ihm vertrauten, ihm vieles anvertrauten – trotz seiner Jugend und all der Dummheiten, die er begangen hatte! Da mußte etwas sein in ihm: ein Kern. Da mußte etwas über ihm stehen: ein Stern – und er selbst lernte immer mehr, diesem Kern und Stern zu vertrauen.

In Berlin bist du zu Hause. Diese Stadt hat dich zu dem gemacht, was du heute bist.


Er hatte keine Zeit für so was! Er mußte vorwärts! Da hatte er es wieder gesehen, daß Träume nichts taugten! Wozu hatte er nun eigentlich diese Reise gemacht? Sinnlos vertanes Geld, nutzlos vergeudete Zeit!


Herr von Senden zu Karl:

„Einmal wolltest du Berlin erobern – und was tust du jetzt? Lauter Kleinkram! Einmal haßtest du alles Halbe – und jetzt sitzt du nur in Halbheiten und kannst dich nicht frei machen.“


Kalli Flau, sein bester Freund, und Karl:

„Einen Augenblick, Kalli“, sagte Karl Siebrecht. „Eines muß ich dir doch noch erklären: was ich auch getan und gesagt habe, ich habe nie etwas gesagt und getan, um Rieke absichtlich zu quälen. Ich bin so, wie ich bin; ich habe gesagt und getan, was ich nach meiner Veranlagung tun mußte, und ich habe dabei nicht immer nur an mich gedacht …“

„Ja“, sagte Kalli Flau unversöhnlich. „Ich weiß das längst: du hast immer vor dir recht, Karl.“ Damit ging Kalli Flau.


Ich habe andere Dinge auskosten müssen, ich wollte hoch. Wahrhaftig nicht meinetwegen, ich kann heute noch in der letzten möblierten Bude hausen, ich kann von achtzig Mark im Monat leben. Ich wollte hoch, weil ich mehr leisten wollte! Und als ich einen Fuß auf die Leiter setzen konnte, da habe ich ihn auf die Leiter gesetzt, jawohl! Unten stand sie im Dreck, und ich schwöre Ihnen, der Dreck war mir genauso unangenehm wie Ihnen. Aber um aus dem Dreck herauszukommen, muß man erst einmal durch ihn hindurch. Ich bin durchgekommen, aber wenn Sie wollen, schmeißen Sie mich ruhig wieder hinein! Bitte schön, mein Herr Eich, aber ich komme doch wieder hoch, ich brauche Sie nicht!“


Ilse Gollmer zu Karl:

„Auch nicht wegen einer anderen, viel größeren Liebe? Wir würden uns nicht nur lieben, ich würde immer bei dir sein. Ich würde dir helfen können, Karl, du solltest ein frohes Leben kennenlernen, kein Leben mehr in Mißmut!“

„Und doch werde ich in mein mißmutiges Leben zurückkehren müssen, Ilse, einfach, weil ich daran gewöhnt bin. Aber es ist gar nicht mißmutig.“


Ja, es war gut, heimzukehren. Irrtümer, Gefahren, Versuchungen, Zeiten der Schwäche: sie blieben keinem erspart. Aber dann kehrte man heim in sein Haus, in sein Eigenstes, in die Heimat, in das, was man aus sich heraus geschaffen hatte, das zu einem Stück des eigenen Ichs geworden war, mochte es nun ein Haus sein oder eine Frau oder eine ganze Stadt.

Quellen

Fallada, Hans: Ein Mann will nach oben. Aufbau Verlag, Berlin 2011.
Bengel, Jürgen / Lyssenko, Lisa (2012): „Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im Erwachsenenalter – Stand der Forschung zu psychologischen Schutz­faktoren von Gesundheit im Erwachsenenalter“. In: Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung. Band 43. Köln: BZgA